Aus der Bahn geworfen
«Bern liest ein Buch» lädt zum gemeinsamen Lesen ein. Die Stadtlektüre: Der Roman «22 Bahnen» von Caroline Wahl. Das Buch handelt von der jungen Tilda, die in ihrem durchgetakteten Alltag zwar bestens schwimmen kann, dann aber doch noch aus der Bahn geworfen wird. Für das Festival kommt Autorin Wahl nach Bern.
Caroline Wahl war ziemlich unglücklich in ihrer Verlagszeit beim Zürcher Diogenes Verlag. Zum Ausgleich schrieb sie in nur drei Monaten «22 Bahnen» – und katapultierte sich damit in die Bestsellerlisten. Mit einer immensen Leichtigkeit erzählt die Autorin darin die Coming-of-Age-Geschichte ihrer Protagonistin Tilda und deren Halbschwester Ida. Und das, obwohl der Inhalt ziemlich schwer ist.
Keine «Abendbrottisch-Familie»
Tilda ist immer in ihrer Kleinstadt geblieben. Während ihre Freund*innen die Provinz schon längstens verlassen haben und das «Big City Life» in Berlin oder anderen hippen Städten auskosten, halten sich bei Tilda die Ausbrüche aus der Routine vorerst in Grenzen. Gerade weil sie nicht in eine «Abendbrottisch-Familie» hineingeboren wurde, muss ihr Alltag klar geregelt sein: Sie kümmert sich um ihre kleine Halbschwester Ida, manchmal um die alkoholkranke Mutter, studiert Mathematik und arbeitet nebenher im Supermarkt. Die Verantwortung lastet schwer auf ihren Schultern, denn in ihrer Lebensrealität gilt: «Kinder haften für ihre Eltern.»
Libellen im Bauch
Ihr einziger Ausgleich sind die 22 Bahnen, die sie täglich im Schwimmbad hinlegt. Als Viktor, der Bruder ihres verstorbenen Freundes Ivan, plötzlich auch im Schwimmbad seine Längen zieht, wird Tilda buchstäblich aus der Bahn geworfen. Der verschlossene Viktor schwimmt ebenfalls immer 22 Bahnen und setzt sich in Tildas Gedanken fest. Die Begegnungen zwischen ihnen sind meistens kurz, sie reden nicht viel, obwohl da eine unbestreitbare Verbindung ist. Ihr inneres Gefühlschaos möchte Tilda verleugnen: «Das ist hier doch keine Liebesgeschichte», beteuert sie und fühlt sich doch von Libellenschwärmen im Bauch überwältigt.
Mit einem feinen Gespür für zwischenmenschliche Beziehungen verwebt Caroline Wahl Alltägliches und Gewöhnliches zu einer berührenden Geschichte. Sie stellt Randfiguren in den Vordergrund und setzte sich zum Ziel, eine zeitlose Figur zu schaffen, wie sie in Interviews preisgab. Das gelingt. Entsprechend zeitlos sind auch die Themen, die in «22 Bahnen» zum Ausdruck kommen – Familie, Freundschaft, Liebe, Fürsorge und Verantwortung – und die sie in einem ganz eigenen Ton versprachlicht.
// Diverse Orte, Bern. Sa., 16., bis Sa., 23.3.
Artikel des/derselben Autor:in
