«Wir haben es hier mit ‹nackten› Stimmen zu tun»
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«Wir haben es hier mit ‹nackten› Stimmen zu tun»

Bühne Oper Musik Performance
Veröffentlicht am 21.05.2024
Susanne Leuenberger
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Vom unermüdlichen Versuch, zueinander zu gelangen: Die Oper «Liebesgesang» handelt von zwei Menschen, die dem Wahnsinn Nähe abtrotzen. Komponiert hat das Stück für zwei Stimmen Georg Friedrich Haas, das Libretto dazu schrieb der Bühnenautor und Filmemacher Händl Klaus. In einer Inszenierung von Tobias Kratzer kommt das Opus mit Claude Eichenberger als «SIE» und Robin Adams als «ER» in einer Uraufführung zu Bühnen Bern. Librettist Händl Klaus spricht mit der BKa über das Schnalzen als Ur-Sprache, unbewusste Schreibphasen und das Spiel mit seinen Katern.

Händl Klaus, ich habe eben das 106-seitige Material von «Liebesgesang» durchgelesen und bin ziemlich überwältigt.  Das liegt zum einen daran, dass ich noch nie die Partitur einer mikrotonalen Oper studiert habe. Es liegt aber auch am heftigen Stoff, den Sie verfassten: Die Frau, «SIE», besucht ihren Mann, «ER», im Krankenhaus. Er ist einem Wahn verfallen und man erlebt mit, wie die gemeinsame Sprache und die Begegnung meist versagt. Trotzdem heisst das Stück «Liebesgesang». Warum?

Händl Klaus: Ganz einfach – weil diese zwei Menschen einander lieben! Es ist eine grosse Herausforderung, mit einem so schwer an der Psyche erkrankten Partner zu leben. Aber darin zeigt sich eben die Liebe: im unermüdlichen Versuch, zueinander zu gelangen. Sich aufeinander – also auch auf die schwer entzifferbaren Gesichter dieser Krankheit – einzulassen. Und sie vielleicht sogar für eine kurze Zeit miteinander zu teilen.

Dieses Paar, das sind Claude Eichenberger und Robin Adams. Sie alleine tragen die Oper. Doch gibt es darin sehr unterschiedliche Stimmen, die singen, sprechen, ächzen, keuchen, ringen und atmen. Wie entsteht ein solches Libretto? Schreiben Sie selbst laut und mit Stimme? Oder haben Sie die Sänger*innen in spe bereits im Ohr?

Ich versuche, die Stimmen der Figuren zu hören. Das sind halb unbewusste Schreibphasen, oft im Aufwachen oder mitten im Spiel mit meinen Katern. In der Arbeit am Schreibtisch forme ich dann ein Gewebe daraus, das möglichst natürlich aus der Gurgel fliessen kann. Ich muss die Sprache rhythmisieren, aber auch für Brüche sorgen. Im «Liebesgesang» sollte die Sprache besonders zart, aber auch spröde sein, weil wir es hier mit «nackten» Stimmen zu tun haben, die unbegleitet singen, also ohne Orchester.

«Ich versuche, die Stimmen der Figuren zu hören. Das sind halb unbewusste Schreibphasen, oft im Aufwachen oder mitten im Spiel mit meinen Katern.»
— Händl Klaus, Librettist

Sie verfassten zum vierten Mal das Libretto für den Opernkomponisten Georg Friedrich Haas. Arbeiten Sie beide zeitgleich, oder steht das Libretto bereits, wenn Sie es dem Avantgarde-Komponisten zur Verfügung stellen?

Für die erste gemeinsame Oper brauchte es einigen Austausch. Aber seither entstanden die Libretti im stillen Kämmerlein, und wenn sie fertig waren, übergab ich sie dem Komponisten. Dann begann dessen Arbeit.

Sie haben im Libretto Schnalzlaute vorgesehen. Im Skript von Georg Friedrich Haas steht ausdrücklich geschrieben, dass die auf der Bühne absolut unerwünscht und untersagt sind. Haben Sie eine Ahnung, was Georg Friedrich Haas gegen das Schnalzen hat?

Unser «ER» sollte schnalzen, sobald er sich mit seinen inneren Dämonen austauscht – das Schnalzen ist sein geheimes Morse-Alphabet. Im Verlauf ihrer Begegnung sollte «SIE» dieses Alphabet von ihrem Mann übernehmen und es beim Abschied hinaustragen in ihre Welt. Das war die Grundidee des Werks, es gab schöne erste musikalische Skizzen.

Aber?

Die Frau des Komponisten (die amerikanische Schriftstellerin und Künstlerin Mollena Williams-Haas, Anm. der Red.) wies ihn auf den südafrikanischen Stamm der Xhosa hin, dessen Sprache Schnalzlaute enthält, und meinte, dass wir somit kulturelle Aneignung betreiben würden. Ich bin zwar anderer Ansicht, da es sich in unserer Oper lediglich um Spielarten von trockenem Schnalzen gehandelt hätte. Zudem halte ich das Schnalzen für einen menschlichen Ur-Laut, der niemandem gehört, sondern der alle Menschenkinder auf der weiten Welt verbindet.

«Man könnte eine eigene globale Kulturgeschichte des Schnalzens verfassen.»
— Händl Klaus über den Schnalzlaut

Schnalzen als Ursprache?

Ja! Blinde Menschen orientieren sich schnalzend in einem unbekannten Raum. Und seit Jahrtausenden kommunizieren wir auf diese Weise mit unseren Pferden und Schafen. Man könnte eine eigene globale Kulturgeschichte des Schnalzens verfassen. Aber ich wäre kein Librettist, wenn ich nicht selbstverständlich dem Komponisten das Vorrecht über die musikalische Umsetzung gäbe.

Im «Liebesgesang» spielen Vögel eine Rolle, auch in anderen Ihrer Arbeiten sind Tiere präsent. In Ihrem Spielfilm «Kater» geht es um das Zusammenleben mit einem solchen Tier. Das Hörspiel «Zrugg», für das Sie letztes Jahr den Berner Literaturpreis erhielten, handelt von Meerschweinchen Strups. Was interessiert Sie an Tieren?

Unsere Verwandtschaft! Und ihre starken, unterschiedlichen Charaktere. Wie aufregend anders sie diese Welt wahrnehmen! Und auch hier, wie im «Liebesgesang», der Versuch einer Sprache: Wie wir miteinander kommunizieren können.

Zur Oper:

Georg Friedrich Haas’ Oper «Liebesgesang» ist nach dem Libretto von Händl Klaus für zwei Stimmen ohne Orchester komponiert. Es handelt sich um eine mikrotonale Oper: Hier sind die Abstände zwischen den Musiktönen kleiner als die üblichen Halbtonschritte. Nur Claude Eichenberger (SIE) und Robin Adams (ER) werden auf der Bühne stehen. Das ist aber nicht das einzige erstaunliche am 90-minütigen Stück: «Vielleicht zum ersten Mal in der Musikgeschichte brauchen die Solist*innen sich auch nicht um die Intonation zu kümmern» schreibt Haas in den Erläuterungen zu den 1336 notierten Takten der Oper. «Kein Dirigat. Freiheit. Selbstbestimmung», schreibt er weiter.

Bühnengeräusche, die sich durch Handlungen der beiden Sänger*innen ergeben, und Licht sind die einzigen Begleiter der Stimmen in der Inszenierung von Tobias Kratzer, der Ende der 2000er-Jahre als «junger Wilder» für Opern zu inszenieren begann. Seine Regiearbeiten wurden mehrfach ausgezeichnet, 2018 unter anderem mit dem Faust-Preis. Ab 2025 wird Kratzer Intendant der Staatsoper Hamburg.

Nachdem die für 2022 geplante Uraufführung aufgrund der Corona-Pandemie nicht stattfinden konnte, kommt «Liebesgesang» nun Ende Mai auf die Bühne des Stadttheaters Bern.

// Stadttheater, Bern

Premiere: Fr., 31.5., 19.30 Uhr

Vorstellungen bis 26.6.

www.buehnenbern.ch

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Susanne Leuenberger
Susanne Leuenberger
Redaktionsleiterin

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