«Lass dich lebend im Sarg tragen»
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«Lass dich lebend im Sarg tragen»

Diverses Begegnungen
Veröffentlicht am 23.08.2024
Susanne Leuenberger
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Die Heitere Fahne baut neu Särge: Mit ihrem Projekt «Heitere Sarg» begegnen Andrea Suter und Hannes Hergarten dem Tabuthema Tod handfest und offen. Bald darf in ihrem Sargatelier mit angepackt werden. Probeliegen inklusive.

Hannes Hergarten und Andrea Suter, ihr ladet Menschen ein, bei der Herstellung von Särgen dabei zu sein und mitanzufassen. Habt Ihr euren eigenen Sarg eigentlich schon gezimmert?

Hannes Hergarten: Nein, das nicht! Aber wir sind beide schon einmal in einem Sarg gelegen – als wir uns im vergangenen Jahr vom Betriebsteam der Heiteren Fahne verabschiedeten, liess sich die Crew ein schönes Abschiedsritual einfallen: Sie trugen uns in einem feierlich-fröhlichen Umzug in einem Sarg auf den Schultern.

Was ging dabei in euch vor?

Andrea Suter : Ich fühlte mich ganz ehrlich sehr wohl dabei und es half mir, Abschied zu nehmen und loszulassen. Es fühlte sich enorm berührend an, getragen zu sein. Ich spürte eine tiefe Verbundenheit mit der Gemeinschaft und mit allem.

HH : Versuche es selbst! Ich empfehle es eigentlich jede*r Person: Lass dich schon im Leben mal im Sarg tragen.

AS : In der Sargwerkstatt und dann später im Sargatelier wollen wir allen diese Erfahrung ermöglichen. Wir möchten die Werkstattbesucher*innen fürs Thema Tod, Abschied und Loslassen öffnen. Sei dies beim Zurechtschreinern der Holzpalette und dem Kontakt mit den Materialien, die wir für die Särge verwenden, sei dies im Atelier, wo die fertigen Särge ab November verziert werden können. Auch Probeliegen ist möglich. Ich wünsche mir, dass gerade auch erwachsene Kinder mit ihren Eltern vorbeikommen und so ins Gespräch kommen.

Hannes, du hast schon vor Jahren begonnen, Särge zu sammeln und hast in einem Krematorium ein Praktikum gemacht. Woher deine Lust am Morbiden?

HH : Für mich ist das gar nicht morbid. Ich habe einfach ein Interesse an Särgen. Und so seltsam es klingen mag: Der Tod ist für mich das Verbindendste überhaupt, denn er bringt uns auf eine ganz natürliche Weise zusammen. Er ist eigentlich oft auch eine Feier des Lebens. Von daher sehe ich die Beschäftigung mit dem Tod als Weiterführung der Arbeit in der Heiteren Fahne, in der es uns immer um das Teilen von Erfahrungen ging. Wir haben so schöne Rituale. Etwa, dass wir in die Sterne schauen, wenn wir mit Kindern über den Tod sprechen, und sagen: «Schau mal, die Verstorbenen, die sind jetzt an einem anderen Ort, ganz weit weg.» Das erfüllt mich mit einer eigentlichen Sehnsucht nach dem Tod.

«Der Tod ist für mich das Verbindendste überhaupt, denn er bringt uns auf eine ganz natürliche Weise zusammen und eint uns auch mit allem rundherum. Er ist eigentlich oft auch eine Feier des Lebens.»
— Hannes Hergarten vom Projekt «Heitere Sarg»
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Andrea Suter und Hannes Hergarten gehen auf Tuchfühlung mit dem, was nach dem Leben kommt. © ZVG

Ist da keine Angst vor dem Tod?

AS : Doch, klar. Für mich war das Thema lange mit Verlustgefühlen und Angst verbunden. Ich verlor meinen Vater an Suizid. Vielleicht will ich gerade deshalb mit dem «Heitere Sarg» einen Raum und eine Situation schaffen, um weich und ungezwungen über den Tod, das Sterben, aber auch über alle anderen Abschiede und Übergänge zu reden. Ich erhoffe mir persönlich neue Erfahrungen und Einblicke. Loslassen als endlose Lebensaufgabe, quasi.

Sind die Menschen bereit für «Heitere Särge»?

HH : Es ist ein Tabugebiet, das wir hier betreten. Die Reaktionen in unserem Umfeld sind oft eher oberflächlich, im Sinne von: Was, seid ihr jetzt im Bestattungswesen? Wie viel kostet denn so eine Kiste?

AS : Ich glaube, die Leute weichen auf Ironie aus, weil sie unsicher sind, wie dem Ende zu begegnen.

Traditionellerweise war die Kirche zuständig für die letzten Dinge. Viele haben sich von ihr entfernt. Verbindliche Trauerrituale fehlen. Springt die Kultur nun in die Bresche?

AS : Es gibt eine ältere Generation, die sich mit der Kirche identifiziert, aber viele jüngere Menschen finden sich da wohl nicht mehr wieder. Auch ich habe mich mit 16 von der Kirche losgesagt, merke aber, dass gewisse wichtige Themen verloren gehen. Ich denke, das Bedürfnis, gemeinsam nach neuen Trauer- und Abschiedsritualen zu suchen, ist spürbar.

«Bei meiner Trauerfeier soll auf alle Fälle Heiterkeit Platz finden – ich bin mir aber noch nicht sicher, wie sehr ich den Abschied nicht denen überlassen soll, die ihn nehmen müssen. Ist es denn überhaupt meine oder nicht eher ihre Feier?»
— Andrea Suter vom Projekt «Heitere Sarg»

Gibt es durch den Tod eine Wiederannäherung von Religion und Kultur? Ihr habt euer Büro im zwischengenutzten Kirchgemeindehaus Markus.

AS : In meinen Heitere-Fahne-Jahren habe ich durchaus gemerkt, dass wir viele Fragen und Anliegen der Kirche teilen: Inklusion und Nächstenliebe, da treffen sich die Interessen. Ich hatte viele gute Begegnungen mit Menschen, die der Kirche nahestehen.

HH : Die Kirchen haben die Heitere Fahne von Anfang an finanziell unterstützt. Es ist eine Win-Win-Situation. Wir bringen neue Kreise wieder in die Nähe der Kirche. Wir fordern heraus, lassen uns herausfordern. Und bleiben dabei uns selbst.

Habt ihr eigentlich selbst schon eine Vorstellung davon, wie eure eigene Trauerfeier aussehen soll?

HH : Ich werde mir was ausdenken. Eine letzte Provokation zum Abschied möchte ich mir noch erlauben.

AS : Bei mir soll auf alle Fälle auch Heiterkeit Platz finden – ich bin mir aber noch nicht sicher, wie sehr ich den Abschied nicht denen überlassen soll, die ihn nehmen müssen. Ist es denn überhaupt meine oder nicht eher ihre Feier?

Wie geht es nach dem Tod weiter?

AS : Das lasse ich gerne offen. Ich bezweifle, dass ich im Leben darauf eine Antwort finde.

Zum Schluss nun nimmt es mich nun doch Wunder: Wie viel kostet denn so ein Heitere Sarg eigentlich?

HH : So 1000 bis 2000 Franken, je nach Modell.

«Heitere Sarg»

Das Projekt «Heitere Sarg», lanciert von Weiter Heiter, der neusten Initiative des Kollektivs Frei_Raum rund um Hannes Hergarten und Andrea Suter, startet Ende August mit der Herstellung von «Heitere Särgen». Gezimmert werden die «Transformationskisten» in der inklusiven Werkstatt im Tscharni in Bethlehem – und dies aus ausschliesslich nachhaltigen Materialien. Interessierte sind eingeladen, bei der Produktion dabei zu sein.

Ab November stehen die Särge im «Heitere Sargatelier» in der Heiteren Fahne zur Verzierung, zum Probeliegen und zum Verkauf bereit. Bereits in der zweiten Hälfte Oktober, am Stadtfestival «endlich.menschlich» von «bern treit. Lebensende gemeinsam tragen» zieht das «Heitere Sargatelier» in den Progr ein – inklusive «Heitere Hemmigsmetzgete» vor Ort.

  • Eröffnung Sargwerkstatt: Werkstatt im Quartierzentrum im Tscharnergut, Bern Bethlehem. Mo., 26.8., 10 Uhr, wöchentlich
  • Feier des «Heitere Sarg» mit Theaterproduktion «Endlich» der Compagnie Theatre Fulu: Stillgelegter Friedhof in Wabern (bei Schlechtwetter: Heitere Fahne, Wabern) Fr., 30.8., 18 Uhr
  • Heitere Sarg-Atelier: Heitere Fahne, Wabern. Zweiwöchentlich ab So., 3.11., 14 Uhr
  • Heitere Sarg-Atelier am Stadtfestival «endlich.menschlich»: Progr, Bern. Di., 22., bis Fr., 25.10., 14 – 21 Uhr («Heitere Hemmigsmetzgete»: jeweils 16-21 Uhr)

www.kollektivfreiraum.ch

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Susanne Leuenberger
Susanne Leuenberger
Redaktionsleiterin

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