«Einige Dialoge im Film habe ich als Kind so mitgehört»
«Retour en Alexandrie» ist ein bewegend-schönes Roadmovie, in dem sich die Protagonistin ihrer sterbenden Mutter stellt. Die BKa sprach mit dem schweizerisch-ägyptischen Regisseur Tamer Ruggli, der in seinem Langfilmdebüt ein Stück eigene Familiengeschichte erzählt.
Tamer Ruggli, Ihr Roadmovie «Retour en Alexandrie» erzählt von der in der Schweiz lebenden Psychiaterin Sue, die sich nach über 20 Jahren Funkstille zur sterbenden Mutter nach Ägypten aufmacht. Was hat Sie daran gereizt, in Ihrem Langfilmdebüt ausgerechnet eine Mutter-Tochter-Beziehung zu beleuchten?
Tamer Ruggli: Ich verbrachte meine Kindheit in Ägypten unter Frauen und fühle mich ihnen verbunden. Der Film ist auch sonst persönlich: Meine Mutter hatte zu ihrer eigenen ein schwieriges Verhältnis. Vieles aus ihrer Beziehung findet sich im Film wieder.
Sehr präsent im Film sind die Erwartungen an die Tochter. Nicht nur von der Mutter Fairouz, die auf Sues Reise immer wieder auftaucht. Auch die anderen weiblichen Verwandten, die Sue unterwegs, real oder imaginiert, trifft, haben etwas an ihr auszusetzen: ihre Figur, ihre Kleidung oder die Tatsache, dass sie Single ist.
Das ist es, was die Beziehungen zwischen den Protagonistinnen schliesslich so schwierig macht. Im Film gibt Fairouz ihrer Tochter wiederholt zu verstehen, dass sie lieber einen Sohn gehabt hätte. Es geht um das Phänomen, dass der persönliche Frust oder selbst erfahrene Schicksalsschläge am eigenen Kind ausgelassen werden.
Nicht nur in «Retour en Alexandrie», auch in Ihren Kurzfilmen «Cappuccino» oder «Hazel» ist die Mutterfigur zentral. Das scheint Sie zu beschäftigen.
Ja, das stimmt. Die eigene Mutter hat einen grossen Einfluss darauf, wer wir werden. Das interessiert mich. Vielleicht hat es auch damit zu tun, dass ich Coming-of-Age mag. In «Retour en Alexandrie» geschieht eigentlich auch ein Coming-of-Age, nämlich von einer Frau Mitte vierzig, die sich auf der Reise zu ihrer Mutter ihrer Vergangenheit stellt, diese hinter sich lässt und so eine neue Lebensphase beginnt.

Wie viel Persönliches steckt sonst noch in «Retour en Alexandrie»?
Viel! Im Film besucht Sue in Kairo ihre kettenrauchende Tante Indji. Auch meine Tante hiess so. Einige Dialoge im Film habe ich als Kind genauso mitgehört. Figuren sind teilweise Hybride aus zwei, drei Personen, die ich kannte. Und das verwendete Material in den Häusern, darunter einige Porträts an den Wänden, stammt aus meiner Familie. Ein paar Figuren werden sogar von Verwandten gespielt. Auch Nebenrollen sind Menschen, die es gibt oder gab.
Zum Beispiel die Bediensteten der Familie: Ihnen geben Sie neben Sues Verwandtschaft viel Gewicht.
Ja, sie waren als Kind für mich sehr präsent. In den gehobenen Schichten Ägyptens waren Bedienstete üblich. Mir war es wichtig, diese Menschen zu zeigen, die die Kinder ihrer Arbeitgeber heranwachsen sehen, ihnen vielleicht die Wärme geben, die diese von der eigenen Familie nicht erhalten – und die dann doch nicht ganz zur Familie zählen. Diese Ambivalenz wollte ich darstellen. Das steht aber auch für ein Klassengefälle, wie ich es damals mitbekommen habe.
Sie locken mit einem Staraufgebot: Neben der berühmten libanesischen Schauspielerin Nadine Labaki konnten Sie für die Rolle der Mutter Fairouz Frankreichs Filmkoryphäe Fanny Ardant gewinnen. Wie kommt man beim Erstling zu so einem Cast?
Ich hatte sie beide von Anfang an vorgesehen, als ich das Drehbuch schrieb. Durch Kontakte konnte ich sie treffen und das hat dann geklappt. Dass ich Ihnen zu verstehen gab, dass ich die Rollen quasi für sie geschrieben hatte, kam sicher gut an. Ich kann da Schweizer Filmschaffenden nur Mut machen, bei der Besetzung manchmal auch etwas zu träumen.
// Stadtgraben, Murten. So., 21.7., 21.30 Uhr
Vorstellung mit anschliessender Diskussion mit dem Regisseur.
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