Gemeinsame Sache mit dem Wolf
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Gemeinsame Sache mit dem Wolf

Begegnungen Literatur
Veröffentlicht am 10.04.2024
Susanne Leuenberger
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Literarische Annäherungen ans Tier: Die Journalistin Petra Ahne hat einen unterhaltsamen und lehrreichen Essay über das Faszinosum Wolf geschrieben. Das Naturhistorische Museum Bern lädt in der Reihe «Naturkunden im Skelettsaal» ein, sich auf die animalischen Geschichten von Wolf, Wespe und Schwein einzulassen. Ein Gespräch mit Wolfskennerin Petra Ahne.

Petra Ahne, wie sind Sie eigentlich auf den Wolf gekommen? 

Petra Ahne: Ich bin eigentlich wieder auf ihn gekommen – als Jugendliche interessierte ich mich für Wölfe und verschlang die Berichte des Wolfsforschers Erik Zimen, der ab den späten 1960er in einer Beobachtungsstation mit den Tieren zusammenlebte und ihr soziales Verhalten beschrieb. Dann verschwand der Wolf aus meinem Leben – bis er Anfang der 2000er Jahre wieder in Deutschland heimisch wurde. 

 

Was fasziniert Sie an ihm?

Das geht eigentlich über das konkrete Tier hinaus. Ich finde unheimlich spannend, wie er immer schon Projektionsfläche war, mit Vorurteilen und Ängsten beladen wurde und wie sich am Verhältnis des Menschen zum Wolf unser sich wandelndes Verhältnis zur Natur ablesen lässt. Mich fasziniert aber auch die Selbstverständlichkeit, mit der er nach über 150 Jahren Abwesenheit in unsere Kulturlandschaften zurückkehrt.

«Zum Bild dieses Alphawolfs dürften auch die Männlichkeitsfantasien der Wolfsforscher selbst beigetragen haben.»   
— Petra Ahne, Autorin und Wolfskennerin

Wie kaum ein Tier spaltet der Wolf. Mal ist er nur gut, wenn er tot ist, dann wieder ist er quasi der bessere Mensch. Warum?

Ich glaube, das liegt daran, dass wir Menschen Mühe damit haben, Ambivalenzen auszuhalten. Wir denken oft in Kategorien wie gut oder böse, gefährlich oder gefährdet. Der Wolf ist beides. Er ist ein Grenzgänger zwischen Wildnis und Zivilisation und hat für uns befremdliche Seiten: Er tötet und reisst Tiere, manchmal sogar mehr, als er essen kann. Gleichzeitig ist er scheu und bedroht, wir haben ihn im 19. Jahrhundert fast in ganz Europa ausgerottet. Es fällt uns schwer, das beides zusammenzubringen. Das führt einerseits zu Dämonisierung, andererseits zu Idealisierung. So verspricht seine Rückkehr heute auch so etwas wie eine Rückkehr der zerstörten Natur. 

Der Wolf durchstreift Märchen, Schauergeschichten und Abenteuerromane. Haben Sie eine persönliche Lieblingsgeschichte? 

Ich mag die Kurzgeschichte «The Werewolf» von Angela Carter. Darin macht das Rotkäppchen mit dem bösen Wolf gemeinsame Sache. Anstatt dass der Jäger das hilflose Mädchen vor der wilden Bestie rettet, legt sich Rotkäppchen mit dem Wolf ins Bett. Als die Geschichte 1979 erschien, sorgte sie für Empörung. Man warf der Autorin Misogynie vor, weil die junge Frau den Wolf mit Sex besänftigte. Ich lese die Geschichte subversiver und mag daran gerade, wie sie mit unseren Erwartungen spielt: Das Mädchen weiss sich selbst zu helfen, es braucht keinen männlichen Retter. Carters Rotkäppchen ist viel selbstbestimmter als das in Grimms Märchen.

Sie beschreiben in Ihrem Essay die Gefahr, den Wolf zu vermenschlichen. Gibt es eine Tier- oder Naturbetrachtung, die das nicht tut? 

Nein, das ist ein Stück weit unausweichlich. Wir können, wenn wir über Tiere sprechen, das nur aus unserem Erfahrungshorizont heraus tun, und der ist nun mal menschlich. Ich finde eine gewisse Vermenschlichung aber nicht schlimm. Tiere sind uns, wie die Verhaltensforschung der vergangenen Jahrzehnte zeigt, näher, als man lange dachte. Und Empathie kann auch mehr Achtung vor der Natur nach sich ziehen. Beim Wolf scheint es aber besonders schwer, ihn zu sehen, wie er ist: Ein Beutegreifer, der tötet, um zu überleben, und zugleich ein Tier, das, dem Menschen nicht unähnlich, in engen Familienverbänden lebt.

Der Wolf muss immer wieder herhalten, um autoritäre Gesellschaftsideen der Menschen zu unterfüttern. «Homo homini lupus» (Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf) hiess es beim Staatstheoretiker Hobbes, und beim Stichwort Alphatier denken Antifeministen wohl auch an ein Wolfsrudel unter der Knute eines männlichen Anführers, der auch beim Paarungsverhalten die Nase vorn hat. Wie viel hat das mit dem wirklichen Verhalten der Wölfe zu tun?

Nicht sehr viel. Wölfe sind, wie gesagt, ausgesprochen soziale Tiere. Wolfsrudel sind eigentlich schlicht eine Familie. Die Hierarchie ist eine zwischen Eltern und Nachwuchs. Dass man lange davon ausging, dass Wolfsrudel streng hierarchisch und autoritär funktionieren, und dass ein Alphawolf über allen anderen Tieren steht, hängt damit zusammen, dass die Wolfsforschung fast ausschliesslich Tiere in Gefangenschaft beobachtete. Die lebten in für sie unnatürlichen Verbänden und zeigten kein normales Sozialverhalten. Und zum Bild dieses Alphamännchens dürften auch die Männlichkeitsfantasien der Wolfsforscher selbst beigetragen haben. 

«Bei manchen Hunden, denen man in der Stadt begegnet, muss man schon an Kurt Tucholskys Satz denken, dass der Hund den Wolf hasst, weil der ihn daran erinnert, wie er sich an den Menschen verkauft hat.»
— Petra Ahne über Hunde, Wölfe und Menschen

Lange Zeit gabs den Wolf in der Schweiz nur noch ausgestopft im Museum. Seit einigen Jahren ist er zurück – und damit die Konflikte wegen Nutztierriss. Bauern wollen den Bestand regulieren, Tier- und Naturschutzverbände versuchen den Abschuss zu verhindern. Wie sehen Sie den Platz der Wölfe unter und neben uns? 

Wölfe und Nutztiere, das ist eine Herausforderung und ich will als jemand, der sich theoretisch mit dem Thema beschäftigt hat, nicht so tun, als ob ich alle Antworten hätte. Abschüsse können nötig sein, sie sind aber nicht die Lösung, wenn es darum geht, Risse zu verhindern. Die haben mit der Zahl der Wölfe nur bedingt etwas zu tun, auch ein einzelner Wolf kann Schaden anrichten. Nur ein angemessener Schutz verhindert Risse. Dass er das tut, zeigen die Erfahrungen in Deutschland. Allerdings auch, dass der Herdenschutz noch längst nicht so gut ist, wie er sein sollte. Die Debatte und die Interessenkonflikte scheinen mir in Deutschland und der Schweiz ähnlich, wobei es in der Schweiz mehr Flächen gibt, die den Schutz von Nutztieren kompliziert machen. An steilen Hanglagen lassen sich nicht einfach Zäune ziehen. Dafür hat in der Schweiz der Einsatz von Herdenschutzhunden Tradition. Es gibt nur eine Alternative zum Herdenschutz. Die wäre, den Wolf wieder auszurotten. Und das kann niemand wollen. 

In ihrem Buch beschreiben Sie die Unterschiede zwischen dem wilden Wolf und seinem Nachfahren, dem domestizierten Hund. Ersterer ist eher menschenscheu und hat eine ausgeprägtere Gestik, letzterer bringt einen «will to please» mit, will also geliebt werden und sucht die Nähe zum Menschen. Sind Sie eine Hunde- oder eine Wolfsperson?  

(Lacht). Ich habe selber einen Cairn Terrier. Dessen Wille zu gefallen ist nicht sonderlich ausgeprägt, er ist sehr eigensinnig. Bei manchen Hunden, denen man in der Stadt begegnet, muss man schon an Kurt Tucholskys Satz denken, dass der Hund den Wolf hasst, weil der ihn daran erinnert, wie er sich an den Menschen verkauft hat. Aber eine Portion Wolf blitzt in so gut wie jedem Hund noch auf. Von daher muss ich nicht entscheiden.   

// Naturhistorisches Museum Bern. Mi., 24., Do., 25., und Fr., 26.4., 19.30 Uhr

  • «Schweine» mit Thomas Macho: Mi., 24.4.
  • «Wölfe» mit Petra Ahne: Do., 25.4. 
  • «Wespen» mit Thomas Ohl: Fr., 26.4

www.nmbe.ch

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Susanne Leuenberger
Susanne Leuenberger
Redaktionsleiterin

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