«Desillusion, Desillusion, Desillusion»
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«Desillusion, Desillusion, Desillusion»

Literatur Musik Pop/Rock
Veröffentlicht am 03.01.2025
Denise Tuna
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Christiane Rösinger zielt mit ihren scharfsinnigen Songtexten oft auf alltägliche Schieflagen und soziale Erwartungen. Ihre Liedtextsammlung «Was jetzt kommt» vereint unverblümte Lyrics aus ihrer langjährigen Musikkarriere. Die Solomusikerin, Autorin und einstige Sängerin der Indie-Pop-Bands Lassie Singers und Britta liest sie in der Bibliothek Münstergasse.

«Liebe wird oft überbewertet / Liebe ist nicht so wichtig, wie man denkt / Liebe ist nur ein Teilaspekt des Lebens / Und die anderen Teile sind auch nicht schlecht» – Es sind solche ernüchternde Lyrics, mit denen die deutsche Indie-Pop-Musikerin Christiane Rösinger gesellschaftliche Vorstellungen vom Leben auf den Boden zurückholt. Es lohnt sich, Rösingers Texte auch ohne Musik mal durchzulesen. 2022 erschien ihre Songtextsammlung «Was jetzt kommt» im einschlägigen Ventil Verlag. Daraus liest die Musikerin und Autorin mit Jahrgang 1961 nun in der Reihe «Text! – Literatur im Gespräch» in der Universitätsbibliothek Bern.

Ihre musiklyrischen Anfänge erlebte Christiane Rösinger bei den Lassie Singers, einer Band, die irgendwo zwischen Hamburger Schule und Neuer Deutscher Welle oszillierte. 1988 in West-Berlin gegründet, sorgten die Lassie Singers mit ihren Texten gelegentlich für Aufsehen. Mit einer Mischung aus subversivem Humor und ironischer Gesellschaftskritik setzten sie oft auf Provokation. So suchen beispielsweise alle netten Mädchen einen wilden Mann, «mit dem ein nettes Mädchen niemals glücklich werden kann». Umgekehrt könne ein nettes Mädchen mit einem braven Mann «leider niemals wild sein».

Mit Britta, der von Post-Rock beeinflussten Band, die Rösinger 1997 gründete, kamen die Songtexte in einem reiferen, reflektierteren Ton daher, blieben aber in ihrer Grundstimmung ironisch und scharfsinnig. Britta war stets ein bisschen introspektiv und melancholisch. Oft einer jugendlichen Sinnlosigkeit ausgeliefert, finden sich Bekundungen wie: «Das Wetter für September normal / Und jeden Tag gibt es eine neue Zeitung / Und alles ist wichtig, und nichts ist egal / Und trotzdem ohne jede Bedeutung.» So gehört im Song «Unglücklich» von 1999.

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Ihre Lyrics sind trocken poetisch: Christiane Rösinger. © Dorothea Tuch

Zwischen Resignation und Aufbegehren

Nach all den Bandjahren machte Rösinger auch solo Musik. 2010 veröffentlichte sie das Album «Songs of L. and Hate» und legte 2017 mit «Lieder ohne Leiden» nach. Ihre Enttäuschungen und Hoffnungen drückte Rösinger mittlerweile in fast resignierten Zeilen aus: «Du hast dir deinen Reim und dein Bild gemacht / Dann kommt die Wirklichkeit und sagt: falsch gedacht! / Desillusion, Desillusion, Desillusion.»

Dennoch behält sie ihren kühnen Blick für gesellschaftliche Schieflagen: «Von den Eltern zur Belohnung / Und zur eigenen Nervenschonung / Und zur ständigen Naherholung / Kriegen wir jetzt eine Eigentumswohnung» – eine treffende Analyse der Doppelmoral derjenigen, die gerne den Kapitalismus anprangern, gleichzeitig moralische Prinzipien problemlos zugunsten persönlicher Vorteile relativieren.

Rösingers Textsammlung liest sich wie ein intimes Tagebuch, durchzogen von trockenen Lebensweisheiten.

Mal zynisch, mal melancholisch

Insgesamt liest sich die Textsammlung wie ein intimes Tagebuch, durchzogen von trockenen Lebensweisheiten. Das Grundgefühl ist mal zynisch, mal melancholisch, immer aber mit einem heiteren Gespür für die schrägen Zwischentöne des Alltags.

Damit nicht genug: Am gleichen Abend findet sich Rösinger gemeinsam mit der befreundeten Schriftstellerin und Cartoonistin Stefanie Sargnagel im Progr ein. Dort liest Sargnagel aus ihrem autofiktionalen Roman «Iowa», das von ihrer gemeinsamen Reise nach Amerika berichtet. Rösinger verpasst der schonungslosen Erzählung korrigierende Fussnoten und liefert Gründe zum Widersprechen.

// Bibliothek Münstergasse, Bern

Nachholtermin: Fr., 24.1., 18 Uhr

www.ub.unibe.ch

 

// Aula im Progr, Bern

Do., 31.10., 19.30 Uhr

www.progr.ch

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