Das macht Heimweh nach Stromboli
«Iddu – Racconti dell’isola» der Berner Filmemacherin Miriam Ernst kommt ins Kino. Der Dokumentarfilm bezeugt eine scheinbar unerschütterliche Beziehung der Strombolaner*innen zu ihrem Vulkan. Ihre Erzählungen und das Spiel von Bild und Ton vermitteln die Naturwucht dieser Äolischen Insel.
Sie ist ein beliebtes Ferienziel im Sommer: Die Vulkaninsel Stromboli. Täglich erreichen sie Schiffe aus Neapel und den sizilianischen Hafenstädten Messina und Milazzo. In Scharen betreten die Tourist*innen den vom Lavagestein dunkel gefärbten Strand. Doch nachts mutet die Insel, die 160 Kilometer vor der nördlichen Küste Siziliens liegt, verlassen an. Nach einem Trekkingtag und dem Filmen des Vulkanausbruchs bei Dämmerung geht es für die meisten weiter auf eine andere der sieben Äolischen Inseln oder zurück aufs Festland.
Zurück bleiben die knapp 600 Einwohner*innen von Stromboli – und ihr feuerspuckender Berg, «iddu», wie sie ihn nennen, «er» auf Sizilianisch. Die Berner Filmemacherin Miriam Ernst nähert sich in ihrem neuen Dokumentarfilm «Iddu – Racconti dell’Isola» den Menschen auf der Insel, denen das Ferienfeeling der Gäste fast schon fremd ist.

Einfach erzählen lassen
Ernst lässt die Bewohner*innen selbst sprechen. In der ersten Hälfte der gut 100-minütigen Doku wird Stromboli als Heimat beleuchtet: Das Leben ist hart, heisst es immer wieder, und dennoch scheint die Verbindung zu «iddu» unerschütterlich.
Davon zeugt die Geschichte des Fischers Gaetano, der noch immer mit seinem kleinen Holzboot und Netz aufs Tyrrhenische Meer hinausfährt. Wie viele Süditaliener*innen wanderte er einst mit seiner Familie nach Australien aus. Doch Stromboli ging ihm nicht aus dem Kopf. Nach wenigen Jahren kehrte er zurück. Dass seine Frau und Kindern «Down Under» blieben, wo sie sich ein neues Leben aufgebaut hatten, hat Spuren hinterlassen.
Auch Manuel ist ein Zurückgekehrter. Während des Studiums in der Stadt war er deprimiert. Am Hang des Vulkans sitzend, erzählt er, wie ihm damals klar wurde, welch ein Paradies sein Zuhause sei. Er beschloss, sein Leben auf Stromboli zu verbringen und wurde Vulkan-Guide.

Nostalgische Blicke zurück
Man fragt sich manchmal: Wird hier romantisiert? Die Inselbewohner*innen erzählen von vergangenen Zeiten, in denen Mensch und Vulkan in Einklang lebten, als auf Stromboli noch Olivenöl hergestellt und der Boden mit Kapern oder Rebstöcken bewirtschaftet wurde. Und als die Menschen während der Arbeit auf dem Land miteinander sangen. Und als er, «iddu», noch respektiert statt als Trekkingziel bestiegen wurde.
Tourist*innen mögen sich über ein fehlendes Spital auf der kleinen Insel wundern oder über die Tatsache, dass Trinkwasser mit dem Schiff auf die Insel transportiert werden muss. Für die Inselbewohner*innen ist irritierend, wie wenig sich die Besucher*innen vor ihrer Anreise über den Ort informieren.
Verraten von Stromboli
Doch Miriam Ernst zeigt auch, wie abhängig die Insel vom Tourismus ist. Und wie die Beziehung der Menschen zu ihrem Vulkan gar nicht so unerschütterlich ist. Am 3. Juli 2019 brach er mit grösserer Wucht als gewöhnlich aus. Und die Menschen fanden sich in einer apokalyptischen Szenerie wieder, wie Handyaufnahmen im Film zeigen. Der Tourismus brach ein, die Arbeit ging verloren; Vulkan-Guide sein und ein Bed and Breakfast führen: überflüssig.

Viele fühlten sich verraten von Stromboli. Andere verstanden die Eruption als Warnung. Einige verliessen die Insel. Und die Strombolaner*innen, die bleiben, waren und sind gefordert, neue und nachhaltigere Wege zu finden, um das Rad am Laufen zu behalten.

Mit einer hohen Dichte an Geschichten lässt Miriam Ernst in «Iddu» das Inselleben ein Stück weit miterleben. Omnipräsent sind das tiefe Grollen des Vulkans, das Scheppern von Steinen und der Schaum des Salzwassers, der sich in Wellen an die schwarzen Felsen schmiegt – Töne und Bilder, welche die Naturwucht der Insel bezeugen. Und die dafür sorgen, dass man im Kinosaal mit den Inselbewohner*innen an das neue Paradies Stromboli glaubt.
Kino Rex, Bern
- Premiere mit Regisseurin Miriam Ernst und Gästen: Do., 29.8., 20 Uhr (ausverkauft)
- Vorstellung mit Regisseurin Miriam Ernst und Kameramann Stefano Bertacchini: Fr., 30.8., 18.15 Uhr
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