Pegelstand
Sibylle Heiniger
Sibylle Heiniger ist Regisseurin und Produzentin und engagiert sich bei t. OK Bern, dem Berufsverband fürs freie professionelle Theaterschaffen. Sie liebt die Aare (vor allem im Sommer) und gute Bücher (immer).
Zu meiner grossen Überraschung wurden sie eskortiert von einem Schiff von Open Arms – einer Nichtregierungsorganisation, die Menschen, die den Fluchtweg übers offene Meer wagen und in Not geraten, rettet. In kleinen Rettungsbooten von Open Arms wurde der hohe Besuch sicher an Land gebracht und alle applaudierten. Danach folgte die Parade durch die Stadt – grösser als jeder (Berner) Fasnachtsumzug, den ich je gesehen habe.
Mich irritierte vor allem diese Selbstverständlichkeit der Open- Arms-Aktion. Keine Polizei, die sie daran hinderte, keine Buh-Rufe aus dem Publikum. Es schien, als sei das Ganze mitinszeniert – was es nicht war, wie ich tags darauf in der Zeitung las. Es war eine spontane Aktion der Organisation.
Ich kam ins Grübeln. War dies ein politisches Statement? Oder vielmehr die Haltung des Publikums? Und wie sähe eine ähnliche Aktion in der Schweiz aus?
Stellen wir uns vor, die Gassenküche würde an der Berner Fasnacht allen als Indianerinnen, Araber und Piratinnen verkleideten Menschen Gratissuppe verteilen. Und die Heilsarmee verfrachtet sie danach in eine Asylunterkunft. Das mag zynisch klingen, wäre aber meiner Meinung nach eine mutige, politisch motivierte Aktion mittendrin in der Volkskultur. Und würde auch dem einen Leitsatz der Berner Kulturstrategie, die kulturelle Teilhabe, insbesondere von Menschen mit Migrationshintergrund zu fördern, Nachdruck verleihen und Anstoss geben zu innovativen Projekten.
Vielleicht gehe ich dieses Jahr wieder mal an die Fasnacht, verkleidet.
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