Im Rausch der Optimierung
von Vittoria Burgunder Die Ausstellung «Lebe besser! Auf der Suche nach dem idealen Leben» im Bernischen Historischen Museum befasst sich mit der Lebensreformbewegung, ihren Praktiken und Produkten. Ihre Spuren umgeben uns noch heute.Clean Eating, Fitnesswahn, Yoga und Co.: Unser Zeitgeist ist geprägt von der Sexyness der Selbstoptimierung. Neu ist das eigentlich nicht: Vor über 100 Jahren bedeuteten Industrialisierung und Urbanisierung für viele Menschen eine grosse Krise. Sie fühlten sich eingeengt und ungesund. Den Ausweg fanden sie in der Natur. Der verbindende Gedanke dahinter: Wenn jeder Einzelne gut zu sich schaut, wirkt sich das auf das Ganze aus.
Schattenseite des Körperkults
Das Bernische Historische Museum teilt seine neue Ausstellung «Lebe besser! Auf der Suche nach dem idealen Leben» in diverse Lebensbereiche wie Ernährung, Wohnform oder Körpersorge ein. Es sind Appelle wie «Stähle deinen Körper!», die jeweils in die Thematik einführen und Filmmaterial, Objekte oder interaktive Elemente, die sie veranschaulichen. Bereits im Jahr 1901 gab es zum Beispiel den Hometrainer im Form des Zimmerfahrrads. Das starke Betonen des gesunden Körpers habe auch eine Schattenseite, sagt Museumsdirektor Jakob Messerli. Vorstellungen vom gesunden, fitten Menschen basierten nicht selten auf sozialdarwinistischen Vorstellungen; bis zu eugenischem Gedankengut, wie es die Nationalsozialisten propagierten, sei es dann nicht mehr weit, so Messerli.
Nackte, abstinente Rohkostfans
Auf dem Hügel Monte Verità in Ascona lebten viele Lebensreformerinnen und Lebensreformer. Aufnahmen zeigen sie dort beim Ausdruckstanz oder nackt beim Ballspielen. Was im Tessin ein Skandal war, stellte für die Bewegung Selbstverwirklichung im Alltag dar. Apropos nackt: Die Lebensreformen gingen sogar so weit, nackt Ski zu fahren. Sie lebten koffein- und alkoholfrei. «Ernähre dich gesund!» lautete ihr Motto. Zu diesem Thema gehört auch Dr. Bircher-Benner, Lebensreformer und Erfinder des Birchermüeslis, das bald auch im Ausland auf den Speiseplan kam. «Fast jeder Schweizer Haushalt ist heute noch im Besitz einer Bircherraffel», so Messerli.