Die Lust am Kontrollverlust
von Susanne Leuenberger Auf der Suche nach dem Kick: Das Bernische Historische Museum gibt sich mit dem Jahresthema «Rausch – Extase – Rush» einem überzeitlichen Faszinosum hin. Die Ausstellung dazu nähert sich Highs und Flows breit und tabufrei auf 700 Quadratmetern.Veranstaltungsdaten
In Madagaskar reiben sich Lemuren gerne mit Tausendfüsslern ein. Deren Sekret soll sie high machen. Der Goldschwanz wiederum isst gerne vergorene Beeren, um sich zu berauschen. Gerade Jungvögel stürzen dabei regelmässig ab – im sehr wörtlichen Sinn. Die Suche nach dem Kick, der Extase und dem Rausch ist also älter als der Mensch. Und eine Sache, die ihn in Bann zieht, und das seit Menschengedenken. Diesem überzeitlichen Faszinosum geht die neue Ausstellung «Rausch - Extase - Rush» im Bernischen Historischen Museum nach.
Wer nun eine gepflegt kuratierte Vitrinenschau zur abendländischen Geschichte der Drogen erwartet, sei gewarnt: Der Besuch der Ausstellung selbst könnte das Bewusstsein verändern. Oder zumindest einige Vorannahmen ins Taumeln bringen. Im Fokus steht nämlich die lebensweltliche Erfahrung von Rauschzuständen im Hier und Jetzt, die alle Menschen, auch unbewusst, im Alltag machen. Und so beginnt der Rundgang mit einer Reihe von Sinnesübungen, in denen optische, haptische und akustische Täuschungen die Wahrnehmung schon mal verrücken. Damit wird denn auch gleich der oftmals verengte Blick auf das Phänomen Rausch geweitet: Nicht nur mehr oder weniger legale Substanzen, auch körpereigene Botenstoffe vermögen ein High oder einen Flow zu erzeugen. «Ziel ist, Rausch aus einer möglichst umfassenden Perspektive zu betrachten. Es ist eine Geschichte, die sich im Hirn abspielt. Gamen, Dauerlaufen oder Meditation berauschen auch», erklärt Ausstellungsmacher Simon Haller.
Ohne moralischen Zeigefinger
«Rausch – Extase – Rush» ist denn auch das Fokusthema, das sich das Bernische Historische Museum erstmals gibt. Zahlreiche Begleitveranstaltungen werden im Laufe des Jahres dazu stattfinden. Ziel ist, damit ein diverses und auch junges Publikum ins Haus zu bringen.
So treibe der Rausch vor allem Adoleszente um, so Haller. «Es ist die Zeit des Sichfindens, der Ablösung und der Suche nach Grenzen und deren Erweiterung. Der Umgang mit Rausch und Risiken ist eine wesentliche Erfahrung dabei.» Seine eigenen, damals jugendlichen Kinder brachten Haller vor vier Jahren auf die Idee, eine Ausstellung zum Thema zu machen.
«Sie erzählten, dass es für sie möglich gewesen wäre, an illegale Substanzen oder Medikamente ranzukommen.» Jugendliche sind denn auch das eigentliche Zielpublikum von «Rausch» – und haben die Ausstellung inhaltlich und formal mitgestaltet. Schüler*innen des Gymnasiums Kirchenfeld wurden ein Jahr vom Unterricht freigestellt, um das Kurator*innenteam zu unterstützen. «Wichtig war den Jugendlichen, dass die Ausstellung sinnlich und informativ daherkommt, ganz ohne Panikmache und moralischen Zeigefinger.»
Höchstens Museumsbier
Unterstützung erhielt Haller dabei unter anderem auch vom Bundesamt für Gesundheit. Auf insgesamt 700 Quadratmetern kommen psychologische, medizinische, pharmakologische, evolutionsbiologische, aber auch historische, popkulturelle und soziologische Aspekte ins bewegte Bild, ins Wort und ins Spiel. Daneben lädt ein publikumsspezifisches Spezialprogramm aus Workshops, Couch-Gesprächen und Spezialführungen Jugendliche, Lehrpersonen, aber auch Erwachsene ein, dem Rausch tabufrei zu begegnen. Ob es denn auch Drogen zu probieren gebe? «Das dann schon nicht», meint Haller, höchstens ein Museumsbier im gleichnamigen feierabendlichen Veranstaltungsformat. Die Ausstellung sei aber hoffentlich auch ohne bewusstseinserweiternd.