Der Bilderphilosoph
von Konrad Tobler Vergangenen Dezember verstarb Franz Gertsch. Der Kulturjournalist Konrad Tobler erinnert sich an den Künstler, dem es sauer aufstiess, wenn man seine Werke mit Fotografien verglich. Denn eigentlich transformierte er die Wirklichkeit in ein Flimmern.Veranstaltungsdaten
Franz Gertschs Bilder sehen aus wie Fotografien. Aber nur in der Reproduktion. «Sauer» war das Wort, das er verwendete, wenn er auf den Fotorealismus reduziert wurde. Denn sein Bezug zur Wirklichkeit ist komplexer. So bemerkte er in einem Gespräch mit mir: «Die Fotografie selbst ist ja nicht objektiv. Aber ich brauche dieses Zwischenmedium der Kamera, der Fotografie, als objektivierendes Mittel gegen meine zu starke Subjektivität.»
1930 in Mörigen am Bielersee geboren, zeichnete er schon als Kind intensiv. Albrecht Dürer und Leonardo da Vinci waren seine Vorbilder. Er wurde während Jahren zum grossen Sucher, zum Bildsucher, spielte romantische Illustrationen und linear strukturierte Holzschnitte durch; er wandte sich der Pop-Art zu. 1969 kam die Wende: Gertsch malte «Huaa … !», das Gemälde mit einem tödlich verwundeten Soldaten. Er malte es nach einem Filmstill. Das Abbild der Wirklichkeit führte zu einer neuen Wirklichkeit des Bildes. Das Malen nach Vorlagen ist bei Gertsch ein Prozess der Abstraktion. Ein Überblick über sein Werk zeigt die stetige Verfeinerung dieser Prozesse, bis hin zu den neueren Zyklen der «Vier Jahreszeiten» oder «Guadeloupe», wo die Malerei sich in Farbflecken aufzulösen scheint. 1972 an der berühmten Documenta 5 erfolgte der internationale Durchbruch – und in der Rezeption eine Reduktion des Werkes auf den Fotorealismus. Nichts ist falscher. Das zeigt sich in den Gemälden der Rockmusikerin Patti Smith. Da verwandelt sich die Wirklichkeit in ein Flimmern der Farben. Die Malerei vertieft sich in die Leerstellen ebenso wie in die Augen der zornigen Sängerin und Poetin. Und sie schafft zwischen den Bereichen Übergänge, die beinahe nicht mehr wirklich erscheinen. Dazu Gertsch: «Es ist ein abstraktes Denken, wenn man die Zwischenräume ebenso wichtig nimmt wie die Gegenstände selbst.»
Bei Gertschs Malerei spielt von Anfang an das Grossformat eine gewichtige Rolle. Denn die Formate treiben die Gegenstände über sich hinaus. Die Gegenstände: Das sind nach einem einmaligen Selbstbildnis von 1980 mehr und mehr Porträts von jungen Frauen. Wie schon Timothy Leary beobachtete, haben Gertschs Bilder eine magische Präsenz, die den betrachtenden Blick bannt, vom Grossen ins Kleine und wieder ins Grosse führt. Die Malerei wird zum Transformationsprozess.
Transformation der Wirklichkeit: Das war Gertschs Programm, auch in den Holzschnitten. Die Sujets fand Gertsch in seiner Umgebung in Rüschegg, wo er seit 1976 wohnte – Wasser, Gräser, Steine und Porträts, die durch unendlich viele Stiche in der Holzplatte Form annahmen und Körperlichkeit erhielten. Gertsch: «Der Gegenstand im Auge ist nur eine Lichtzeichnung. Die Farben sind zu einer Farbe geworden; diese schafft eine Stimmung, die eher geistiger Art ist.» So ist Gertschs Bezug zur Wirklichkeit ein ehrfürchtiger, ja, auch ein melancholischer – im Wissen und Sehen, dass das Reale mehr ist, als wir sehen und wissen können.
Am 21. Dezember des letzten Jahres ist der Meister gestorben.
Unter dem Titel «Farbproben» zeigt das Museum Franz Gertsch in Burgdorf Drucke auf Japanpapier, die im Druckatelier des Künstlers entstanden. Die Ausstellung ist die letzte, die Gertsch vor seinem Tod gemeinsam mit Kuratorin Anna Wesle plante.
Vernissage: Fr., 27.1., 18.30 Uhr. Austellung bis 18.6.
www.museum-franzgertsch.ch